Marie-Luise Vollbrecht

„…….warum  es in der Biologie zwei Geschlechter gibt.“ –

 Kommentar zu einer aktuellen Debatte

 

„Warum erzeugt der simple Verweis auf eine biologische Tatsache eine solche Aggression? Es ist ein logischer Fehlschluss, aus dem Verweis auf die Existenz von nur zwei Geschlechtern in der Biologie eine Wertung oder moralische Forderungen abzuleiten.“

(Marie-Luise Vollbrecht, DIE ZEIT 28, 6. Juli 2022).

 

I.

Doch so einfach ist es nicht.

Der Vortrag „Geschlecht ist nicht (Ge-)schlecht, Sex, Gender und warum es in der Biologie zwei Geschlechter gibt“, den die Biologin Marie-Luise Vollbrecht anlässlich der Langen Nacht der Wissenschaft am 2. Juli 2022 an der Humboldt-Universität Berlin halten wollte, wurde von der Universitätsleitung abgesagt.

Diese Absage wurde mit zu erwartenden Protesten und Unruhen gegen die Veranstaltung begründet. Der Vortragenden wurden ‚transfeindliche Überzeugungen‘ unterstellt, die nicht mit dem Leitbild der Universität, dem „wechselseitigen Respekt vor dem/der Anderen“ in Einklang stünden.

Das Verwaltungsgericht Berlin hat im Dezember 2023 entschieden, dass die Humboldt-Universität diese Aussage nicht  weiter verbreiten darf. Es fehle an „einer tragfähigen tatsächlichen Grundlage“  dieser Kritik und stelle somit einen unzulässigen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Vortragenden dar (www.hoecker.eu/news/erfolg-gegen-cancel-culture-an-universitaeten-verwaltungsgericht-berlin  5.12.2023).

 

II.

Der Streitpunkt in der ideologisch aufgeheizten Debatte ist der Begriff der ‚Zweigeschlechtlichkeit‘. Für die Biologen handelt es sich um eine empirisch nachgewiesene Tatsache, um eine nicht zu hinterfragende Bedingung aller Formen geschlechtlicher Fortpflanzung. Die LGBTQ- Gruppen sehen in der Behauptung der Existenz von ‚nur‘ zwei Geschlechtern, ihre Geschlechtlichkeit und damit ihre Menschenwürde in Frage gestellt. Aus ihrer Sicht impliziert der Begriff der Zweigeschlechtlichkeit eine Diskriminierung.

Die Kontrahenten haben beide Simone de Beauvoir ‚ Le deuxième Sexe/ Das andere Geschlecht‘ (1949/1992) nicht gelesen, nicht verstanden und kennen auch nicht die Theorie und Diskussion zur ‚Sexuellen Differenz‘.

Mittlerweile ist es oft genug betont worden, dass zwischen Geschlecht und Geschlechtsidentität zu unterscheiden ist. Die Einführung des gender-Begriffs aus dem amerikanischen Sprachkontext hatte eine große Verwirrung bewirkt, es entstand der Eindruck, dass eben nicht nur die Geschlechtsidentität sozial und kulturell konstruiert wird, sondern damit auch die Geschlechtlichkeit selbst. Das ist ein Fehlschluss, wie Marie-Luise Vollbrecht zu Recht kritisiert.

Die Auseinandersetzung um diese konträren Positionen findet gegenwärtig vor allem in der Presse und den sozialen Medien statt, es scheint um ‚Positionen‘ zu gehen, nicht um Argumente. Anders gesagt, es geht um Macht nicht um Erkenntnis.

 

III.

Marie-Luise Vollbrecht referiert in ihrem Vortrag rein fachwissenschaftlich das Thema der Fortpflanzung in all seinen Variationen, wie sie die Biologie bei Pflanzen, Tieren und Menschen vorgefunden und untersucht hat. Die Referentin stellt heraus, dass es vielfältige Formen der Fortpflanzung gibt, aber unabdingbare Notwendigkeit zur Zeugung ist das Zusammentreffen von Eizelle und Spermien. Nun gibt es Lebensformen, die ursprünglich Eizellen haben, später aber Spermien – doch zur Zeugung sind beide Komponenten notwendig, in diesem Fall werden also die Geschlechtspartner gewechselt.

Rüdiger  Krahe, der Doktorvater von Marie-Luise Vollbrecht, resümiert: „Die Biologie definiert Geschlecht auf der Basis der Keimzellen, auf deren Produktion ein Organismus ausgerichtet ist, also ob er Eizellen oder Spermien produziert. Dazwischen gibt es nichts“ (www.berliner-zeitung.de/kulur-vergnuegen/debatte/hu-biologe.ruediger-krahe, 6.Juli 2022).

Der Referent*innenRat der Humboldt- Universität wendet sich mit seiner Kritik, “dass TIN*Feindlichkeit an der HU ein tief verankertes und strukturelles Problem ist“ nicht nur gegen Marie-Luise Vollbrecht, sondern an die Humboldt-Universität als Institution. Der Biologin werfen sie konkret ‚transfeindliche‘ Äußerungen in zwei Veröffentlichungen vor, die außerhalb der Universität publiziert wurden: „Wir als Referent*innenRat stellen uns nicht generell gegen Vorträge zu Biologie und Geschlecht. Wir positionieren uns aber dagegen, dass offen TIN*-feindlichen Personen wie Marie-Luise Vollbrecht auf einer prestigeträchtigen Veranstaltung der Langen Nacht der Wissenschaften Raum gegeben wird“ (www.refrat.de/articles/stellungnahme.tin; 11. Juli 2022).

Wie kann eine solche Meinungsäußerung in ein Argument umgedeutet werden?

Offensichtlich wurde ohne inhaltliche Überprüfung und Stellungnahme dieser Vorwurf von der Universitäts-Leitung übernommen: „Grundsätzlich versteht sich die Humboldt-Universität als ein Ort, an dem kein Mensch diskriminiert werden sollte, sei es wegen seiner Religion, seiner vermeintlichen Rasse, seiner sexuellen Identität oder wegen irgendeines anderen Merkmals, das als Unterscheidungsmerkmal angesehen wird. Die HU hat sich in ihrem Leitbild dem ‚wechselseitigen Respekt vor dem /der Anderen verpflichtet. Die Meinungen, die Frau Vollbrecht in einem ‚Welt-Artikel am 1. Juni 2022 vertreten hat, stehen nicht im Einklang mit dem Leitbild der HU und den von ihr vertretenen Werten“ (Stellungnahme der HU, zitiert auf www.hoecker.eu/news/erfolg-gegen-cancel-cultur-an-universitäten-verwaltungsgericht-berlin).

Marie-Luise Vollbrecht schreibt dazu in einem Artikel in der ZEIT, worum es ihr in ihrem Vortrag gegangen wäre: „Zu erklären, warum es aus biologischer Sicht nur zwei Geschlechter gibt. Klarzumachen, dass Debatten um soziale Geschlechterrollen etwas anderes sind. Und zu begründen, warum ich es für falsch halte, wenn beides vermengt wird“ (Die ZEIT 28, 6.Juli 2022).

In dem Streit geht es offensichtlich nicht um eine Kritik an der Vielfalt möglicher Geschlechtsidentitäten, sondern um die Zurückweisung der latenten Behauptung, dass die biologische Ausstattung mit Eizelle oder Spermien wählbar oder veränderbar ist.

 

IV

Das eigentliche Problem aber ist die ‚Zwei‘. Es fehlt beiden Kontrahenten an der philosophischen Reflexion dieses Begriffs, wie sie in der feministischen Philosophie erarbeitet wurde.

Die formale Logik der Zahlen macht alle Elemente/Nummern gleich. Das steht aber in eklatantem Widerspruch zu der These der Biologen, dass zur Zeugung Eizelle und Spermien notwendig sind, also Elemente, die nicht nur nicht gleich, auch nicht verschieden , sondern grundlegend anders sind. Sie sind in ihrer Beziehung und ihrer Funktion ‚different‘ – unvergleichbar.

Simone de Beauvoir hatte in ihrem Buch ‚Das andere Geschlecht‘, französisch ‚Le deuxième Sexe‘, diese Problematik analysiert. Im Denken unserer männlichen geprägten Gesellschaften gilt: „Er ist das Subjekt, er ist das Absolute, sie ist das Andere“ (Simone de Beauvoir, Das andere Geschlecht, 1992, 129). Das ‚Zweite‘ steht bedeutungsmäßig für das Abgeleitete, das Abhängige, das Minderwertige. Dieses Modell impliziert also ein Herrschaftsverhältnis, das durch die formale Gleichsetzung verschleiert wird.

In der feministischen Philosophie wurde dieses Dilemma problematisiert. Die Sprache suggeriert mit ihren Begriffen von Geschlechter-Unterschieden eine nicht vorhandene Gleichheit – wo doch eine grundsätzliche Andersheit besteht. Die Kritik der ‚Zweigeschlechtlichkeit‘ hatte ursprünglich diese Intention, das implizite Machtverhältnis zwischen den Geschlechtern zu entlarven. Nicht aber die biologische Voraussetzung von „zwei“ differenten Elementen zur Zeugung.

Judith Butler hat diesem Gedanken eine andere Bedeutung gegeben, sie kritisierte die Festlegung auf Geschlechtsidentität durch die sogenannte ‚Zwangsheterosexualität‘, die gesellschaftliche Zuordnung zu dem einen oder anderen Geschlecht. Aber daraus zu folgern, das Geschlechterverhältnis sei binär, war ein folgenschwerer Gedankenfehler Judith Butlers. Das Geschlechterverhältnis ist asymmetrisch und ist charakterisiert durch einen impliziten Ausgrenzungsmechanismus.

Die LGBTQ-Gruppen nutzen nun genau diesen Ausgrenzungsmechanismus, um ihre Geschlechtsidentitäten zu positionieren, in dem sie sich von anderen Gruppen (Cis, TIN-Feinden, TERF) abgrenzen und sie diffamieren. Das ist kontraproduktiv.

Die Kritik der LGBTQ-Gruppen an der Binarität und Zweigeschlechtlichkeit ist vordergründig. Das Geschlechterverhältnis in einer logisch-formalen Kategorie als binär zu charakterisieren, ist nicht haltbar. Es ist ein gesellschaftliches, ein politisches, ein soziales und emotionales Verhältnis, deren Dimensionen in einem spezifisch philosophischen Begriff Ausdruck finden, nicht in einer Ziffer. Ein Begriff ist interpretierbar. Die Geschlechterbeziehungen können hierarisch, egalitär oder komplementär sein. Es können sich sexuelle Identitäten in einer Vielfalt von Orientierungen und Begehren herausbilden. Aber die Grundlage bleibt die Zugehörigkeit zu dem einen oder anderen Geschlecht in Abhängigkeit von einer Eizelle oder Spermien. Jedes durch Zeugung entwickelte Lebewesen entsteht durch die Vereinigung von Eizelle und Spermien. In diesem Sinne ist jedes Subjekt  strukturell „bi“sexuell. Um sich dessen bewusst zu werden, bleibt der Begriff des Geschlechts weiter unabdingbar.

Die Forderung von LGBTQ-Gruppen nach Anerkennung sogenannter nicht-binärer Identitäten als drittes Geschlecht ist ein Fehlschluss. Das bedeutet einen Rückfall in puren Essentialismus: die Ableitung von Geschlechtlichkeit aus einem artifiziellen Geschlecht. Das ist eine Position, die diese Gruppen selbst kritisieren.

 

V.

Auf diesem Hintergrund ist Marie-Luise Vollbrecht zu zustimmen, grundsätzlich zwischen Geschlecht und Geschlechtsidentität zu  unterscheiden und zu insistieren, dass weder durch Performanz  noch durch Sprechakte das Geschlecht verändert werden kann, nur die  Geschlechtsidentität ist variabel. Doch der Gebrauch des Begriffs ‚Zweigeschlechtlichkeit‘ ist auch in der Biologie nicht unproblematisch. Durch das Festhalten an der Existenz ‚zweier‘ Geschlechter transportieren die Biologen den Gedanken einer potentiellen Gleichheit der beiden Geschlechter weiter, anstatt zu betonen, dass Eizelle und Spermien grundsätzlich anders/different sind.

Es bleibt die Frage, warum es der Intervention des Staates bedurfte, (der Universitätsleitung, des Oberverwaltungsgerichtes) einen inhaltlich sachlichen Konflikt, wenn auch nicht zu lösen, so doch zu regulieren?

 

6/2024

 

 

 

 

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