Female Peace Palace
Schreiben, Widerstand und Pazifismus im Krieg
Anke Buettner, Olivia Ebert und Viola Hasselberg (Hrg)
Berlin 2024
„Wie geht Frieden? Welche Widersprüche gilt es auszuhalten? Welche Visionen leiten uns in eine bessere Zukunft?“ (Anke Buettner u.a. ,11)
I
Diese Fragen standen im Mittelpunkt eines im April 2023 in München veranstalteten Festivals ‚Female Peace Palace‘. Monacensia im Hildebrandhaus (Bibliothek und Literaturarchiv) und die Münchener Kammerspiele haben ein Podium geschaffen, um das Thema Krieg und Gewalt mit künstlerischen Mitteln und Formen zu thematisieren und zu problematisieren. Dieser ästhetische Schwerpunkt basiert auf den Vorannahmen der VeranstalterInnen, dass Worte und Vorstellungen die Grausamkeiten des Krieges und die Gewalt nur unzureichend auszudrücken vermögen.
Die jetzt veröffentlichte Publikation erfüllt eher die Funktion eines ‚Programmheftes‘, weil die diskursive und performative Wirkung der Veranstaltung wieder auf Texte reduziert ist. Aber durch Ergänzungen historischer Quellen, literarischer Texte, Gedichte und Erfahrungsberichte ergibt sich ein berührender, eindringlicher Zugang zu Kriegserlebnissen und Reflexionen von Frauen aus unterschiedlichen Perspektiven.
II
Interessant und überraschend an der Gesamtkonzeption des Festivals ist die Bezugnahme auf den Internationalen Frauenfriedenskongress 1915 in Den Haag. Dieses Ereignis ist im gegenwärtigen kollektiven Gedächtnis kaum mehr präsent. Zu der Veranstaltung zu Beginn des ersten Weltkrieges kamen über 1200 Frauen aus 12 Ländern – zum Teil unter äußerst schwierigen Anreisebedingungen- zusammen. Aus Deutschland nahmen 28 Frauen teil, darunter Anita Augspurg, Lida Gustava Heymann und Helene Stöcker. Es wurde drei Tage diskutiert und abschließend – weltpolitisch weitsichtige, heute zum Teil verwirklichte -Forderungen in 20 Resolutionen verabschiedet. Diese wurden von Frauen-Delegationen persönlich an die Regierungschefs der damaligen Kriegsteilnehmer übergeben.
An diese Gedanken anknüpfend haben die VeranstalterInnen Frauen aus vielen zurzeit im Krieg stehenden Ländern eingeladen: Ukraine, Belarus, Syrien, Georgien, Eritrea, Bosnien-Herzogowina. Vorrangiges Ziel war der Austausches zwischen Frauen, die Kritik des Militarismus, die Forderung nach Frieden, Gewaltfreiheit und körperlicher Unversehrtheit und das Sichtbarmachen erlittenen Unrechts.
Die drei HerausgeberInnen sind MitarbeiterInnen der Monacensia und der Kammerspiele München.
III
Der Den Haager Friedenkongress wurde als Theatervorstellung ‚anti war women‘ von Jessica Glause inszeniert. Die verwendeten Texte sind in der vorliegenden Publikation im Original abgedruckt.
Eine solche Veranstaltung zu Beginn des letzten Jahrhunderts war möglich, weil sich Frauen schon Jahre vorher weltweit in Vereinen und Organisationen zusammengeschlossen hatten, um das Frauen-Stimmrecht einzufordern. Eigentlich war 1915 eine Veranstaltung des Weltbundes für das Frauenstimmrecht (IWSA: International Woman Suffrage Alliance) in Berlin geplant. Wegen des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs musste die Veranstaltung abgesagt werden, konnte aber kurzfristig nach Den Haag verlegt und zum Friedenskongress umfunktionieret werden.
Die Argumentationen der Friedensfrauen changieren zwischen biologistisch/naturalistisch eingefärbter Sprache und einem feministischen Standpunkt. Sie propagieren eine eigene Sicht auf den Krieg: „ denn wir Frauen, wir beurteilen den Krieg anders als die Männer“ (Aletta H. Jacobs, 40). Sie kritisieren den Militarismus, den Einsatz von brutaler Gewalt als einziger Methode zur Regelung internationaler Streitigkeiten und sie fordern eine Rückkehr zum Internationalismus. Sie fordern eine weltweite Einführung des Frauenstimmrechts, davon ausgehend, dass die Teilhabe von Frauen an politischer Macht ein Mittel zur Kriegsvermeidung werden könnte.
Die in 20 Resolutionen aufgestellten Forderungen sind sehr modern: sie enthalten neben dem Protest gegen den Krieg, die Verurteilung der Vergewaltigungen von Frauen als Kriegswaffe, Forderungen für eine internationale Friedensgerichtsbarkeit (IGH), die Gewährleistung eines Volksrechtes ( Völkerrechtes), die Einrichtung einer demokratischen Kontrolle auswärtiger Politik (UN), Abrüstung, politische Gleichberechtigung von Frauen und die Beteiligung von Frauen an Friedensverhandlungen.
Die anderen Beiträge der vorliegenden Publikation sind literarische Texte, in denen Frauen Kriegserfahrungen thematisieren, darunter historische Beiträge von Franziska zu Reventlow und Annette Kolb. Alle anderen Texte sind von Autorinnen der Gegenwart verfasst. Sie zeigen einen eher subjektiven Blick auf das Geschehene, entsprechen aber in diesem Sinn der Intention des Festivals, die unaussprechbaren Ungeheuerlichkeiten des Krieges auszudrücken und zu vermitteln. Darunter ist auch ein Beitrag von Tea Tupajić, die an den Münchener Kammerspielen eine Inszenierung ‚Licht‘ verantwortet hat. Jesidische Frauen berichten über erlittene sexuelle Gewalt. Der Autorin zufolge ist „ das Theater der einzige Ort…, an dem man die Geschichte wirklich hören kann“ (211).
IV
Die Publikation des Festivals offenbart das Dilemma der aktuellen feministischen Debatte: wie als ‚Frauen‘ sprechen, wenn dieser Begriff im theoretischen Diskurs aufgrund politisch ideologischer Überlegungen negiert wird. Das aktuelle Ergebnis ist Schweigen zur Tagespolitik.
Die Frauen von 1915 kannten noch eine Solidarität aufgrund des weiblichen ‚Geschlechts‘, die sie international mobilisieren konnten: ‚Frauen‘ wurden ausgegrenzt, diskriminiert und vergewaltigt wegen ihres Geschlechts-Seins – unabhängig von ihrer nationalen, sozialen oder soziokulturell konstruierten Geschlechtsidentität.
Dieser Zwiespalt zwischen feministisch theoretischem Diskurs und politisch pragmatischer Aktion von Frauen-Solidarität wurde auf dem Festival nicht thematisiert – aber evident.
V
„Wenn wir Frauen die Ethik des moralischen Mutes einführen wollen, dann müssen wir sagen: Wir blicken nicht auf die Heeresführer der verschiedenen Nationen, wir blicken nicht auf die Waffenfabrikanten, wir blicken nicht auf die Pressbeherrscher, die die öffentliche Meinung vergiftet haben, wir blicken nicht auf unsere Kaiser, Könige und Präsidenten, auch die nicht, die loyal für die fühlen, wir blicken nicht auf all diese Leute: wir blicken in die Herzen der stummen Leidenden, der ungezählten Millionen von Frauen und Männern, die Kultur und Zivilisationsarbeit, Familienglück schätzen und lieben und genießen mochten und nicht können, weil wir unter der Suggestion von Jahrhunderten zum Verlust unsrer individuellen Denk- und Fühlmöglichkeit gelangt sind. Wir blicken in die Herzen dieser Millionen und für diese Millionen rufen wir aus: es ist nicht genug zu sagen, es muss weiter gekämpft werden, um dem Militarismus ein Ende zu machen.“ (Rosika Schwimmer, 54)
4/2024